Bildnis der Kolonialmacht
Die Kinder Nordamerikas
lernen Erdkunde mit Landkarten, auf denen Nicaragua ein Farbfleck ist, über
dem quer geschrieben steht: Protektorat der Vereinigten Staaten von Amerika.
Als die Vereinigten Staaten beschlossen, Nicaragua könne sich nicht selbständig
regieren, gab es im Gebiet der Atlantikküste vierzig öffentliche Schulen.
Heute sind es noch sechs. Die Schutzmacht hat keine einzige Eisenbahnlinie und
keine Straße gebaut und auch keine Universität gegründet. Dagegen
ist Nicaragua jetzt höher verschuldet als früher. Das besetzte Land
zahlt die Kosten seiner eigenen Besatzung; und die Besatzer halten die Besatzung
unter dem Vorwand aufrecht, sie müssten für das Eintreiben der Kosten
Sorge tragen, die sie selbst verursachen.
Der Zoll Nicaraguas ist in der Hand der nordamerikanischen Gläubigerbanken.
Die Banker haben den Nordamerikaner Clifford D. Ham als obersten Zollinspektor
und -eintreiber eingesetzt. Außerdem ist Clifford D. Ham noch Korrespondent
der Nachrichtenagentur United Press. Der Vizezollinspektor und -eintreiber,
der Nordamerikaner Irving Lindbergh, ist Korrespondent der Nachrichtenagentur
Associated Press. So heimsen Ham und Lindbergh nicht nur die Zölle Nicaraguas
ein: Sie heimsen auch die Nachrichten ein. Sie sind es, die die Öffentlichkeit
über die Taten Sandinos, dieses kriminellen Bandoleros und bolschewistischen
Agenten unterrichten.
Ein nordamerikanischer Oberst befehligt die Armee Nicaraguas, die National Guard
oder Nationalgarde, und ein nordamerikanischer Hauptmann ist Chef der nicaraguanischen
Polizei.
Der nordamerikanische General Frank McCoy steht dem Nationalen Wahlausschuss
vor. Vierhundertzweiunddreißig Marines leiten, von zwölf Flugzeugen
der Vereinigten Staaten beschützt, die Wahlbüros. Die Nicaraguaner
geben ihre Stimme ab, die Nordamerikaner bestimmen. Kaum ist er gewählt,
da erklärt der neue Präsident auch schon, die Marines blieben in Nicaragua.
Dieses unvergessliche Bürgerfest hat General Logan Feland organisiert,
der Kommandant der Besatzungstruppen. General Feland, viel Muskeln, buschige
Augenbrauen, legt die Füße auf den Schreibtisch. Über Sandino
sagt er gähnend: "Dieser Vogel wird schon eines Tages fallen."
aus: Eduardo Galeano, Erinnerung an das Feuer