(...)
Planungen und Konzeptionen der deutschen Kulturpolitik.
In den ersten Jahren nach der Besetzung chinesischen Territoriums standen der
bauliche Aufbau der Stadt Qingdao, der Ausbau der Infrastruktur sowie Einrichtungen
des Militärs im Mittelpunkt der Politik des Gouvernements. Diese Arbeiten
sollten die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonie
schaffen. Nach 1905 rückte dann jedoch der Faktor Kultur als weiterer Bestandteil
der deutschen Politik im Gouvernement Kiautschou immer mehr in den Mittelpunkt
des Handelns. Zu dem eigentlichen Ziel der Entwicklung Kiautschous als Handelszentrum
kam die Entwicklung eines "deutschen Kulturzentrums"6 in China hinzu.
Die vom Deutschen Reich in Kiautschou durchgeführte systematische Kulturpolitik
hatte dabei eine breit angelegte Intention. Sie ging davon aus, daß Kulturpolitik
neben Diplomatie und Außenwirtschaftspolitik eine dritte Säule in
den Beziehungen zu China werden sollte. Mit Hilfe der Kulturpolitik sollten
die Leistungen und Erfolge der deutschen Kultur und Wissenschaft demonstriert
und damit ein positives Bild von Deutschland in China vermittelt werden.7 Die
eigenständige Kulturpolitik des Staates, die in Ergänzung zu den religiös
motivierten Aktivitäten der Missionen in den ländlichen Gebieten stand,
sollte insbesondere zukünftige Eliten in Schlüsselpositionen ansprechen
und bei ihnen eine deutschfreundliche Einstellung verbreiten. Seit 1905 begannen
daher die deutschen Kolonialbehörden in Qingdao aus eigener Initiative
kulturpolitische Planungen und Konzeptionen zu entwickeln. In einem grundlegenden
Positionspapier aus dem Jahre 1905 wurde die Kulturpolitik als eine der wichtigsten
Aufgaben für die deutsche Politik in China und Kiautschou genannt. Hier
heißt es: "Die Aufgaben, die uns Deutschen in dieser Kolonie auf
diesem wichtigsten Gebiet des Kulturlebens moderner Völker, dem Erziehungswesen,
gestellt sind, lassen sich nach dem Vorhergehenden kurz zusammenfassen. Soll
deutscher Einfluss über die engen Grenzen unseres Gebietes hinaus in Schantung
sich bahnbrechen, so gilt es, den Mächten, die dort am Werke sind, durch
planmäßige und tatkräftige Interessenvertretung ein Gegengewicht
zu schaffen. In unserer Kolonie dürfen wir uns nicht wie in Hongkong darauf
beschränken, solche Chinesen heranzuziehen, die in der Schulbildung nur
das Rüstzeug zu einem leichteren Lebensunterhalte finden, sie soll vielmehr
in umfassender Weise auf Geist und Charakter einwirken und das Mittel sein zu
einer Durchtränkung der ganzen Provinz, des von Tsingtau wirtschaftlich
abhängigen Hinterlandes mit deutschem Wissen und deutschem Geiste."
Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Aufstellung einer systematischen
Kulturpolitik des Deutschen Reiches in China in engem Zusammenhang stand mit
der großen Bedeutung, die dem Kulturbegriff in den akademischen Diskussionen
in Deutschland um die Jahrhundertwende zugeschrieben wurde. Zeitgenössische
Publizisten und Wissenschaftler wie Soziologen, Ethnologen und auch Sinologen
betonten übereinstimmend die ausschlaggebende Rolle der Kultur für
die Entwicklung einer Gesellschaft. In bezug auf die deutsche Politik in China
wurde in Übereinstimmung mit einer solchen Argumentation hervorgehoben,
dass Kultur- und Bildungspolitik Grundlage für jede Form der wirtschaftlichen
und politischen Einflussnahme darstellten, das heißt, Grundlagen für
die deutsche koloniale Präsenz in Shandong überhaupt.
Der einflussreiche Publizist Paul Rohrbach, ein Wortführer bei der Forderung
nach der deutschen Kulturmission, betonte die prinzipielle Rolle und Aufgabe,
die die deutsche Kultur in dem historischen Prozess der Modernisierung Chinas
auszuüben habe. In der Fähigkeit zur Kulturmission in China erwiesen
sich für Rohrbach die Reife der deutschen Kultur und die Fähigkeit
zu weltpolitischem Handeln. Institutionell wurden diese Aktivitäten von
zahlreichen deutschen Auslandsvereinen getragen. So wurde zum Beispiel 1906
in Berlin der "Ausschuss zur Förderung der deutschen Kulturarbeit
in China" gegründet. 1909 wurde der "Chinesisch-Deutsche Verkehrsausschuss"
gegründet, der das Studium chinesischer Studenten in Deutschland förderte.
Für die Herausbildung der deutschen Kulturmission ist jedoch auch die Entwicklung
in China als Faktor mit einzubeziehen. Nach der Abschaffung des traditionellen
chinesischen Prüfungssystems 1905 begann China, eine tiefgreifende Reform
des Erziehungswesens in Angriff zu nehmen mit dem Ziel, ein modernes, teilweise
an westlichen Vorbildern angelehntes Schulsystem zu etablieren. Darin sahen
nun alle in China engagierten ausländischen Mächte eine Möglichkeit,
durch bewusste Propagierung des eigenen Bildungswesens Einfluss auf diese innerchinesische
Entwicklung zu gewinnen. Mit seinen Schulplänen befand sich das Deutsche
Reich folglich in Konkurrenz zu anderen westlichen Mächten, insbesondere
zu England und Amerika, die zum Teil seit langem in organisatorischer und didaktischer
Hinsicht Erfahrungen mit Schulen in China gesammelt hatten. Den überwiegend
privaten Initiativen aus England und Amerika wollte das Deutsche Reich jedoch
eine gezielte staatlich initiierte und organisierte Kulturpolitik entgegensetzen,
um den Vorsprung der anderen Mächte aufzuholen.
Die deutschen Pläne in Qingdao waren somit von der grundsätzlichen
Vorstellung geprägt, dass Deutschland in umfassender Weise auf die chinesische
Gesellschaft geistig-kulturellen Einfluss ausüben wollte. Dabei sollten
aber nicht abendländische Kultur oder westliche Bildung in China pauschal
verbreitet, vielmehr ein spezifisch deutsches Kulturprogramm propagiert werden.
Eine auf Disziplin, Strenge, Tiefe und Gründlichkeit hin orientierte deutsche
Pädagogik sollte der pragmatisch-utilitaristischen "Oberflächlichkeit"
und "liberalen Radikalität" anglo-amerikanischer Erziehung entgegengesetzt
werden.
(...)
Qingdao (Tsingtau) - Ein
Zentrum deutscher Kultur in China?, von Klaus Mühlhahn
Deutsches Historisches Museum
http://www.dhm.de/ausstellungen/tsingtau/