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1519, TENOCHTITLÁN

Moctezuma

Große bewegliche Berge sind übers Meer zu den Küsten von Yucatän gekommen. Der Gott Quetzalcoatl ist heimgekehrt. Die Indios küssen den Bug der Schiffe.
Kaiser Moctezuma traut seinem eigenen Schatten nicht.
- Was soll ich tun? Wo soll ich mich verbergen?
Moctezuma möchte sich am liebsten in Stein oder Holz verwandeln. Die Hofnarren vermögen ihn nicht abzulenken. Der bärtige Gott Quetzalcoatl, der ihm sein Land als Lehen überlassen und die schönen Lieder geliehen hat, kommt und fordert sein Eigentum zurück.
In grauer Vorzeit hatte Quetzalcoatl sein Goldhaus und sein Korallenhaus niedergebrannt und war gen Osten davongezogen. Die schönsten Vögel flogen vor ihm her und wiesen ihm den Weg. Auf einem Schlangenfloß stach er in See und fuhr gen Sonnenaufgang von dannen. Nun kehrt er von dort wieder. Und der bärtige Gott, die gefiederte Schlange, kehrt hungrig heim.
Die Erde bebt. In den Töpfen hüpfen die kochenden Vögel. Keiner soll bleiben, ahnte der Dichter voraus. Keiner, wahrlich keiner soll mehr im Lande leben.
Moctezuma hat Gott Quetzalcoatl reiche Opfergaben aus Gold, Schalen voll Goldstaub, goldene Enten, goldene Hunde, goldene Tiger und Halsschmuck, Stäbe, Pfeile und Bogen aus Gold, entgegengeschickt. Aber je mehr Gold der Gott verschlingt, desto mehr Gold verlangt er, und gierig rückt er auf Tenochtitlán zu. Er marschiert zwischen den großen Vulkanen hindurch, und hinter ihm kommen weitere bärtige Götter. Aus den Händen des Invasoren donnert es ohrenbetäubend und lodert es todbringend.
- Was soll ich tun? Wo soll ich mich verkriechen?
Moctezuma birgt tagaus, tagein nur noch den Kopf in den Händen.
Vor zwei Jahren, als sich die Anzeichen für Rückkehr und Rache mehrten, hatte Moctezuma seine Magier zur Höhle des Totenkönigs Huémac ausgesandt. Die Magier waren mit einem ganzen Gefolge von Zwergen und Buckligen in die Tiefen von Chapultepec hinabgestiegen und hatten Huémac die Opfergabe des Kaisers, frisch abgezogene Kriegsgefangenenhäute, übergeben. Huémac ließ Moctezuma ausrichten:
- Mach dir keine Illusionen. Du findest keine Ruhe und keine Freude mehr.
Und er gebot ihm, sich der Speisen zu enthalten und ohne Frauen zu schlafen.
Moctezuma gehorchte. Er büßte lange. Beschnittene mauerten die Gemächer seiner Gemahlinnen zu, und die Köche vergaßen seine Lieblingsgerichte.
Aber dadurch wurde es nur noch schlimmer. Die Raben der Angst stürzten sich nun in Schwärmen auf ihn herab. Moctezuma war des Beistands der Göttin der Liebe und des Kots beraubt, Tlazolteotl, die unseren Unflat frißt, damit die Liebe möglich wird. Und so versank des Kaisers Seele in Einsamkeit, Schmutz und Finsternis. Wieder und wieder sandte er Boten mit Bittgesuchen und Geschenken zu Huémac, bis der Totenkönig ihm schließlich eine Audienz gewährte.
In der bestimmten Nacht reiste Moctezuma ihm entgegen. Auf einem Kahn glitt er nach Chapultepec. Der Kaiser stand im Bug, und der Nebel über der Lagune teilte sich vor seinem strahlenden Flamingofederbusch.
Doch kurz vor dem Fuß der Anhöhe hörte Moctezuma Ruder plätschern. Ein Kanu glitt flink vorüber, und in dem schwarzen Dunst schimmerte einen Atemzug lang eine Menschengestalt auf. Sie war nackt und stand allein im Kanu und schwang das Ruder wie einen Speer.
- Bist du es, Huémac?
Das Wesen auf dem Kanu fuhr so nah an ihn heran, dass sie sich fast rammten. Es blickte dem Kaiser in die Augen, wie ihn sonst keiner anblicken darf. Es sagte: - Feigling! Und verschwand.

aus: Eduardo Galeano, Erinnerung an das Feuer

Bildquelle: http://www.infozentrum-schoko.de