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1561, NUEVA VALENCIA DEL REY
Aguirre
In die Bühnenmitte
tritt, eine Axt in der Hand und von Dutzenden Spiegeln umgeben, Lope de Aguirre.
Vom Bühnenhintergrund hebt sich schwarz und gigantisch das Profil Philipps
des II ab.
LOPE DE AGUIRRE (zum Publikum): - Wir gingen immer unseres Wegs, erlebten Tod
und Verhängnis und brauchten so zehneinhalb Monate bis zur Mündung
des großen, furchteinflößenden und unheilvollen Stromes Amazonas.
Hiernach nahmen wir die Insel Margarita in Besitz. Allda ließ ich fünfundzwanzig
Männer ihren Verrat am Galgen und im Würgeeisen büßen.
Und danach rückten wir auf dem Festland vor... König Philipps Soldaten
schlottern vor Angst. Bald lassen wir Venezuela hinter uns. Bald ziehen wir
als Sieger ins Reich Peru ein! (Er dreht sich um und steht in einem der Spiegel
seinem eigenen mitleiderregenden Bild gegenüber.) Ich habe Don Fernando
de Guzmán am Amazonasstrom zum König gekrönt! (Er schwingt
die Axt und zerhackt den Spiegel.) Ich habe ihn gekrönt, und ich hab ihn
umgebracht! Und seinen Wachhauptmann, den Vizeadmiral und vier Kapitäne
dazu! (Beim Reden zerschlägt er nacheinander alle Spiegel.) Und seinen
Hofmarschall und seinen Pfaffen im Offiziersrock! Und ein Weib aus dem Bündnis
wider mich und einen Ordensritter aus Rhodos und einen Admiral! Und ich habe
neue Hauptleute und einen neuen Feldwebel eingesetzt! Und sie wollten mich umbringen,
und ich hab sie aufgeknüpft! (Er zertrümmert die letzten Spiegel.)
Alle! Alle! (Atemlos setzt er sich auf den Scherben übersäten Boden.
Die Axt senkrecht in beiden Fäusten. Der Blick verloren. Es ist lange still.)
Ich segelte in jungen Jahren über den Ozean ins Land Peru, weil man mit
der Lanze mehr galt. Ein Vierteljahrhundert ist das her! Rätsel und Elend!
Silberzeug und goldene Trinkschalen hab ich für andere in Friedhöfen
ausgescharrt. Galgen habe ich in noch ungegründeten Städten aufgerichtet.
Menschenmengen bin ich zu Pferde nachgestellt... Die Indianer stoben entsetzt
durch die Flammen... Ritter mit hochtrabenden Titeln und geliehenen Seidenkleidern,
Herren aus adligem Haus wie aus dem Findelhaus verfielen im Urwald, wenn sie,
von Pfeilen getroffen, an Blutvergiftung starben, in Raserei und fraßen
Erde... Krieger mit ehernen Rüstungen wurden in den Anden von Schneestürmen,
stärker als Musketenschüsse, niedergemäht... So manche endeten
in Geiermägen statt im Grabe... So manche wurden gelb wie das Gold, nach
dem sie jagten... Und das Gold... (Er lässt die Axt fallen. Mühsam
öffnet er die zu Krallen verkrampften Hände. Er zeigt die Handflächen
vor.) Das Gold hat sich verflüchtigt. Ist zu Schatten oder Tau geworden...
(Er blickt erstaunt um sich. Er sitzt lange stumm. Plötzlich springt er
auf und droht dem gigantischen spitzbärtigen Schattenbild Philipps des
II. im Bühnenhintergrund mit der drahtigen Faust.) Von euch Königen
kommen so wenige in die Hölle, weil ihr wenige seid! (Er geht auf den Bühnenhintergrund
zu und zieht sein lahmes Bein nach.) Undankbarer! Ich bin an der Gestalt verdorben,
weil ich dich gegen die Aufrührer in Peru verteidigt habe! Ich hab ein
Bein und ein Auge für dich hingegeben, und diese Hände, die zu nichts
mehr taugen! Jetzt bin ich der Aufrührer! Aufrührer bis zum Tod deines
Undanks wegen! (Er fixiert das Publikum und zieht sein Schwert.) Ich, der Aufrührerfürst!
Ich, Lope de Aguirre, der Wandersmann, der Zorn Gottes, der Feldherr der Geschundenen!
Wir bedürfen deiner nicht, König von Spanien! (An mehreren Stellen
gehen auf der Bühne bunte Lichter an.) Wir lassen keinen deiner Minister
am Leben! (Er stürzt sich mit gezogenem Schwert auf ein rotes Lichtbündel.)
Richter, Statthalter, Präsidenten, Vizekönige! Krieg bis aufs Messer
den höfischen Kupplern! (Das Lichtbündel verharrt, gleichgültig
gegenüber dem Schwert, das es durchschneidet, an seinem Fleck.) Thronräuber!
Diebsgesindel! (Das Schwert zischt durch die Luft.) Ihr habt Westindien zerstört!
(Er attackiert ein goldenes Lichtbündel.) Rechtsgelehrte, Notare, Federfuchser!
Wie lange sollen wir eure Raubzüge in den von uns eroberten Ländern
noch erleiden? (Er hackt ein weißes Lichtbündel kurz und klein.)
Pfaffen, Bischöfe, Erzbischöfe! Ihr bestattet keinen armen Indio!
Ihr haltet euch "zur Buße" ein Dutzend Mägde in der Küche!
Händler! Sakramentenhändler! Betrüger! (Und so wirbelt er mit
dem Schwert weiter fruchtlos zwischen den unerschütterlichen Lichtbündeln
herum, die sich nur noch vermehren. Allmählich verliert Aguirre Kraft und
sieht immer einsamer und kleiner aus.)
1561, NUEVA VALENCIA DEL REY
Aus Lope de Aguirres Brief an König Philipp den II.
Mittlerweile haben wir hier
im Reich ermessen, wie grausam du bist und die christlichen Gebote und dein
gegeben Wort brichst, und deswegen sind deine Versprechen bei uns verrufener
als des Martin Luthers Bücher, dieweil dein Statthalter, Vizekönig
Marquis de Canete, unsern in deinen Diensten meritierten Martin de Robles gehenkt
hat und auch den wackeren Perueroberer Tomás Vasquez und den unseligen
Alonso Diaz, der für die Erschließung dieses Reichs mehr getan als
Moses' Kundschafter in der Wüste .
Schau ruhig her, König von Spanien, auf dass du nicht grausam und undankbar
wider deine Untertanen seiest, verschafften sie dir doch, als du noch ohn alles
Ungemach mit deinem Vater in den spanischen Reichen herrschtest, mittels ihres
Bluts und Guts all die Reiche und Herrschaften, welche du hierzulande besitzest,
und darum darfst du, Herr und König, willst du als gerechter König
gelten, auch keinen Zins aus diesen Landen ziehen, wo nicht zuvor solche, die
sich dafür geschunden und ihren Schweiß vergossen, ihren Lohn empfangen.
Ach, welch ein Jammer, dass dein Vater, der Caesar und Kaiser, vermittels Spaniens
Lebenssäften das stolze Germanien erobert und dafür so viel Geld aus
dem von uns entdeckten Indien fortgeschleppt und vergeudet hat, und ach, dass
dich unser Alter und unsre Müdigkeit nicht dauert, würdest du doch
andernfalls eines Tages zumindest unsern Hunger stillen.
1561, BARQUISIMETO
Wiederherstellung der Ordnung
Von seinen Leuten verlassen,
die Begnadigung oder königliche Gunstbeweise vorzogen, ersticht Lope de
Aguirre seine Tochter Elvira, damit sie nicht Schurken als Matratze dient, und
stellt sich seinen Henkern. Er korrigiert ihre Zielgenauigkeit, nicht so, doch
nicht so, ihr trefft ja daneben, und bricht, ohne sich Gott zu befehlen, zusammen.
Als der in weiter Ferne thronende Philipp II. seinen Brief liest, steckt Aguirres
Kopf schon auf einem Pfahl, zur Abschreckung aller, die der europäischen
Entwicklung zuarbeiten.
aus: Eduardo Galeano, Erinnerung
an das Feuer