1799, CUMANÁ
Ein Gelehrtenpaar auf Maultierrücken
Die beiden eben in Cumana
an Land gegangenen Europäer reißen die Augen auf und können
die Neue Welt doch nicht fassen Der Hafen glitzert über dem in der Sonne
gleißenden Fluß, weiße Holz- oder Bambushäuser stehen
um das steinerne Fort, und dahinter leuchtet - seegrün, landgrün -
die Bucht. Alles ist neu hier, nie berührt, nie gesehen: das Federkleid
der Flamingos, der Schnabel der Pelikane, die zwanzig Meter hohen Kokospalmen,
die riesengroßen Sammetblumen, die auf Lianen und Blattwerk gebetteten
Stämme, die immerwährende Siesta der Krokodile, die hellblauen, gelben
und roten Krebse...
Indianer schlafen nackt im warmen Sand, Mulattinnen in besticktem Musselin streicheln
beim Gehen den Boden mit den Füßen. Jeder Baum steht hier in einem
versunkenen Garten Eden und lockt mit der verbotenen Frucht.
Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland mieten am Marktplatz ein Haus
mit einer geräumigen Dachterrasse. Wenn sie vom Dach nach oben schauen,
erleben sie, wie sich die Sonne verfinstert, wie es Sternschnuppen regnet und
wie der Himmel eine Nacht lang wütend Feuer speit, und wenn sie nach unten
blicken, erleben sie, wie die Sklavenkäufer den frisch eingetroffenen Negern
auf dem Markt von Cumana den Mund aufreißen. In diesem Haus zittern sie
beim ersten Erdbeben ihres Lebens, und von hier aus erkunden sie die Umgegend.
Sie bestimmen Farne und seltene Vögel und suchen nach dem Mann Francisco
Loyano, der sein Kind fünf Monate lang, während seine Frau krank war,
mit Frauenbrüsten und süßer Milch gestillt hat.
Danach rüsten sich Humboldt und Bonpland zu ihrer Reise in die höhergelegenen
südlichen Landesteile. Sie laden ihre Instrumente auf: ihren Sextanten,
ihren Kompaß, ihr Thermometer, ihr Hygrometer und ihr Magnetometer. Außerdem
nehmen sie Papier zum Blumentrocknen, Skalpelle zum Vögel-, Fische- und
Hummersezieren und Tusche und Federn zum bildlichen Festhalten all des Staunenswerten
mit. Auf schwer bepackten Maultieren schaukeln der blauäugige Deutsche
mit dem schwarzen Zylinder und der Franzose mit der unersättlichen Lupe
davon. Amerikas Wälder und Berge öffnen sich verblüfft den beiden
Irren.
aus: Eduardo Galeano, Erinnerung
an das Feuer