Im Orchester der westlichen Kräfte, die sich an der überwiegend erzwungenen Öffnung und Durchdringung Chinas beteiligten, nehmen die katholischen und protestantischen Missionen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen, in mancher Hinsicht vielleicht den wichtigsten, Platz ein. Im Vergleich dazu ist die katholische Mission des 17. und 18. Jahrhunderts lediglich eine Marginalie. Vor allen Dingen ist die christliche Mission seit etwa 1890 bis in die frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts ein Motor sozialer, politischer und intellektueller Veränderungen. Wenn auch eher verschämt, weil man sich vor dem Vorwurf einer imperialistischen und kolonialistischen Attitüde schützen wollte, artikulierte man Stolz über die christlichen Elemente im Taiping-Aufstand um die Mitte des 19. Jahrhunderts, der stärker als jede andere Aufstandsbewegung dieser Zeit den Bestand des Qing-Kaiserreiches gefährdete. Ebenso begrüßte man die christlichen Einflüsse auf die Reformbewegung von 1898 und auf die allgemeine politische und soziale Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert.

Die Gefährdung der bestehenden Ordnung wurde schon seit der ersten Expansion der Mission nach dem Vertrag von Tianjin 1860 von der lokalen Elite erahnt und mit weitverbreiteter Missionsfeindlichkeit beantwortet: In diesem Vertrag wurden der katholischen Mission einschließlich der chinesischen Konvertiten weitgehende Rechte bis hin zum Recht auf Landerwerb eingeräumt. Bewusste Fehlinterpretationen des Vertrages waren an der Tagesordnung. So sahen die lokalen Machthaber (Gentry), aus deren Reihe sich auch die nationale Herrschaftselite bildete, ihre Stellung durch den Anspruch der Missionare und deren oft antikonfuzianische Haltung bedroht. Weiterhin sahen sie eine Gefährdung ihrer gesellschaftlichen Funktion in der Übernahme sozialer Verantwortung im Erziehungs- und Wohlfahrtswesen durch die Mission. Die seit 1860 (Tianjin) und 1877 (Zhifu) vertraglich privilegierte Stellung der Missionare schwächte im Verein mit den Auflösungserscheinungen der Zentralgewalt die Autorität der Beamten. Selbst in der sogenannten einfachen Bevölkerung rief die Identifizierung der Missionare mit dem Christentum der Taiping-Führer Hong Xiuquan und Hong Rengan populäre missionsfeindliche Reaktionen hervor.

Dem stand auf missionarischer Seite ein weitgespanntes Spektrum unterschiedlicher Haltungen zu China, den Chinesen und der chinesischen Kultur gegenüber, das nur in einem Grundsatz bei Katholiken und Protestanten unterschiedlichster Ausrichtung einheitlich war, und zwar in der Überzeugung der Überlegenheit des christlichen Glaubens über alle anderen Religionen. Unterschiedlich wurden die moralischen Qualitäten und die Heilsfähigkeit der Chinesen gesehen, unterschiedlich auch die Methoden der Missionierung und unterschiedlich schließlich die eigene Rolle bei der imperialistischen Durchdringung Chinas. So schreibt neben vielen anderen Jakob Ernst: "Gewiss - wir sind den ›Gelben‹ überlegen - aber nicht unbedingt und nicht in allen Stücken, sondern nur in so weit, als wir uns zur Lehre Christi bekennen und sie zur Wahrheit zu machen bestrebt sind." Während August H. Bach von der der China Inland Mission angeschlossenen Kieler China Mission die Unzulänglichkeit der chinesischen moralischen Werte anprangerte, betonten Missionare wie W. A. P. Martin und Ernst Faber die Übereinstimmungen im Christentum und Konfuzianismus und damit die Heilsfähigkeit der Chinesen innerhalb ihrer eigenen Traditionen.

Die Missionsmethoden reichten von bloßer seelsorgerischer Tätigkeit, wie dies lange bei der katholischen Mission und einigen protestantischen Missionsgesellschaften der Fall war, über soziale Aktivitäten, Schulen, Wohlfahrt und ärztliche Versorgung bis hin zu dem Versuch, das Christentum indirekt über die Vermittlung der westlichen Zivilisation in China zu verankern.
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Die neuere katholische Mission in China beginnt mit dem Navarresen Francisco Xavier S. J., dem Apostel Japans, der das chinesische Festland jedoch nicht betrat, sondern 1551 auf einer Insel vor Macao (Aomen) starb. Als ihr eigentlicher Begründer ist dann aber Matteo Ricci S. J. anzusehen, der unter portugiesischem Schutz 1583 nach Guangzhou (Kanton) gelangte.
Die protestantische Mission nennt als ihr Gründungsdatum die Ankunft Robert Morrisons von der London Missionary Society 1807. Die deutsche Mission spielte bis zur Besetzung Qingdaos in China eine untergeordnete Rolle. Selbstverständlich waren Deutsche in der katholischen Mission aktiv, doch war diese nicht national orientiert. Erst mit der deutsch dominierten Steyler Mission und der Erklärung des Deutschen Reiches 1890, dass es die Missionare und Missionen unter seinen Schutz stelle, erhielt ein Teil der katholischen Mission nationale Züge. Dies führte dazu, dass die Ermordung zweier Steyler Missionare 1897 Anlass für die deutsche Besetzung der Jiaozhou-Bucht hatte werden können. Diesen Zusammenhang formuliert der Steyler Missionar Stenz: "Da wurden durch ruchlose Mörderhand die beiden deutschen Missionare PP. Nies und Henle in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1897 erstochen. Deutschland hatte seit einigen Jahren den Schutz der Mission übernommen und verlangte daher Sühne von China. Um diese besser und energischer betreiben zu können, nahm es schon einige Tage nachher Besitz von dem Hafen Tsingtau. Der chinesische General Tschang, der dort mit einigen hundert zerlumpten Soldaten hauste, wurde überrumpelt und zum Abzug gezwungen, und deutsche Soldaten wurden gelandet, die sich schnell der wichtigsten Punkte bemächtigten. Ohne Blutvergießen war Tsingtau genommen. Der ›Sohn des Himmels‹ protestierte von seinem ›Drachenthrone‹ aus, doch ›das Land, auf das der deutsche Aar seine Fänge gesetzt, ist deutsch und wird deutsch bleiben‹".

aus: Für Gott und Vaterland? Die christlichen Missionen, von Erling von Mende
Deutsches Historisches Museum
http://www.dhm.de/ausstellungen/tsingtau/