Das Erdöl - die Verwünschungen und die Wundertaten
Das Erdöl ist zusammen
mit dem Naturgas der wichtigste Brennstoff unter all denen geblieben, die die
Welt von heute in Betrieb halten; ein Rohstoff von wachsender Bedeutung für
die chemische Industrie und das grundlegendste strategische Material für
Militärzwecke Kein Magnet zieht das Auslandskapital in solchem Maße
an wie das "schwarze Gold", noch gibt es eine andere Quelle, die solch
märchenhafte Gewinne verspräche; das Erdöl ist der Naturschatz,
der im ganzen kapitalistischen System den höchsten Grad von Monopolisierung
erreicht hat. Es gibt keine Unternehmer, die über die gleiche politische
Macht verfügen, wie sie von den großen Erdölkonzernen im Weltmaßstab
ausgeht. Die Standard Oil (Esso-Exxon) und die Shell setzen Könige und
Präsidenten ein und ab, finanzieren Palastrevolutionen und Staatsstreiche,
verfügen über unzählige Generäle, Minister und James Bonds,
and in allen Breiten und allen Sprachen ist ihr Wort über Krieg und Frieden
entscheidend.
Minister und James Bonds, und in allen Breiten und in allen Sprachen ist ihr
Wort über Krieg und Frieden entscheidend. Die Standard Oil of New Jersey
ist das größte Industrieunternehmen der kapitalistischen Welt; außerhalb
der Vereinigten Staaten gibt es keine mächtigere Industriefirma als die
Royal Dutch Shell. Die Tochtergesellschaften verkaufen das Rohöl an die
Nebenindustrien, die es raffinieren und die den Brennstoff zu seiner Verteilung
an die Filialen weiterverkaufen: Das Blut tritt auf seinem ganzen Kreislauf
nicht aus dem internen Zirkulationsapparat des Kartells aus, das obendrein die
Ölleitungen und einen großen Teil der Erdölflotte auf den sieben
Weltmeeren besitzt. Die Preise werden auf internationaler Ebene manipuliert,
um niedrigere Steuern zu bezahlen und höhere Gewinne zu erzielen: Als Ergebnis
wird das Rohöl immer billiger und das raffinierte immer teurer.
Mit dem Erdöl geschieht dasselbe wie mit dem Kaffee oder dem Fleisch: Die
reichen Länder verdienen viel mehr für die Mühe, die sie sich
dazu nehmen, es zu verbrauchen, als die armen Länder dafür, es zu
erzeugen. Der Unterschied ist zehn zu eins: Von den elf Dollar, die die Reinprodukte,
die aus einem Fass Erdöl hervorgehen, kosten, erhalten die Ausfuhrländer
des wichtigsten Rohstoffes der Erde kaum einen Dollar.
Das Erdöl, das aus dem Boden der Vereinigten Staaten hervorquillt, ist
durch hohe Preise begünstigt, und auch die Löhne der nordamerikanischen
Erdölarbeiter sind relativ hoch, aber der Preis des Erdöls aus Venezuela
und dem Mittleren Osten fiel seit 1957 und das ganze folgende Jahrzehnt hindurch
ständig. Jedes Fass venezolanisches Erdöl hat z.B. 1957 durchschnittlich
U.S. $ 2,65 gekostet, der Preis beträgt bei Schreiben dieses Kapitels U.S.
$1,86 Die Regierung Rafael Calderas kündigt an, dass sie einseitig einen
weitaus höheren Preis festsetzen wird, aber der neue Preis wird keinesfalls
- aufgrund der Ziffern, von denen in den Kommentaren die Rede ist, und trotz
des Skandals, der voraussichtlich losbrechen wird - das Niveau von 1957 erreichen.
Die Vereinigten Staaten sind gleichzeitig die wichtigsten Erdölerzeuger
und das wichtigste Erdöl-Einfuhr-Land der Welt. Zu der Zeit, in der der
größte Teil des von den Konzernen verkauften Rohöls aus dem
Boden Nordamerikas stammte, blieb der Preis hoch; während des Zweiten Weltkrieges
verwandelten sich die Vereinigten Staaten in ein reines Importland, und das
"Kartell" begann, eine neue Preispolitik in Anwendung zu bringen.
Der Preis fiel systematisch. Eine merkwürdige Umkehrung der "Marktgesetze":
Der Erdölpreis erleidet einen jähen Sturz, obwohl gleichzeitig die
internationale Nachfrage ständig wachst, und zwar infolge des Baus neuer
Fabriken, neuer Automobile und neuer Kraftwerke. Und ein weiteres Paradoxon:
Bei gleichzeitigem Fallen des Erdölpreises steigt überall der Preis,
den die Konsumenten für die Brennstoffe bezahlen. Die Erklärung:
Das Erdölgeschäft befindet sich in Händen eines allgewaltigen
Kartells. Das Kartell kam im Jahre 1928 in einem nebelumhüllten Schloss
im Norden Schottlands zur Welt, als die Standard Oil of NewJersey, die Shell
und die jetzt British Petroleum genannte Anglo-Iranian übereinkamen, den
Planeten unter sich aufzuteilen. Die Standard aus New York, die California,
die Gulf und die Texaco wurden später der führenden Gruppe des Kartells
eingegliedert. Die von Rockefeller 1870 gegründete Standard Oil hatte sich
infolge der Anwendung des gegen die Trustbildung gerichteten Sherman-Gesetzes
in fünfunddreißig verschiedene Firmen geteilt; die größte
Schwester der zahlreichen Familie Standard ist in unseren Tagen die Firma von
NewJersey. Ihre Erdölverkäufe umfassen derzeit zusammen mit denen
der Standard von New York und derer von Kalifornien die Hälfte des Gesamtabsatzes
des Kartells. Die Bedeutung der Erdölfirmen der Rockefellergruppe kommt
in der Tatsache zum Ausdruck, dass ihre Gewinne nicht weniger als ein Drittel
der Gesamtgewinne ausmachen, die nordamerikanische Firmen jeder Art auf der
ganzen Welt einheimsen. Die Jersey, ein typischer internationaler Konzern, erzielt
ihre größten Gewinne im Ausland; Lateinamerika bietet ihr größere
Gewinne als die Vereinigten Staaten und Kanada zusammengerechnet, denn südlich
des Rio Bravo ergibt sich für sie eine viermal höhere Gewinnspanne.
Die Tochtergesellschaften in Venezuela brachten 1957 mehr als die Hälfte
der von der Standard Oil of New Jersey erzielten Gesamtgewinne hervor; im gleichen
Jahre verschafften die venezolanischen Tochtergesellschaften der Shell die Hälfte
ihrer Gewinne auf der ganzen Welt.
Diese multinationalen Konzerne gehören jedoch nicht den zahlreichen Nationen,
in deren Gebiet sie tätig sind; sie sind ganz einfach in dem Maße
multinational, in dem sie aus allen Himmelsrichtungen große Erdöl-
und Dollar-Ströme in die Machtzentren des kapitalistischen Systems pumpen.
Sie haben es bestimmt nicht nötig, Kapital zu exportieren, um die Ausbreitung
ihrer Geschäfte zu finanzieren; die Gewinne, um die die armen Länder
gebracht werden, gelangen nicht nur schnurstracks in die wenigen Städte,
in denen ihre wichtigsten Couponschneider wohnen, sondern werden auch teilweise
wieder investiert, um das internationale Geschäftsnetz zu festigen und
auszubreiten. Die Kartellstruktur bringt die Beherrschung zahlreicher Länder
und die Infiltration zahlreicher Regierungen mit sich; das Erdöl durchtränkt
Präsidenten und Diktatoren und verschärft die strukturellen Missbildungen
der Länder, die ihm unterliegen. Die Unternehmen sind es, die mit dem Bleistift
auf der Weltkarte entscheiden, welche Gebiete ausgebeutet und welche als Reserve
bestimmt bleiben sollen, und sie sind es, die die Preise festlegen, die die
Erzeuger zu erhalten und die Verbraucher zu bezahlen haben. Der natürliche
Reichtum Venezuelas und anderer lateinamerikanischer Länder mit Erdölvorkommen,
die das Ziel planmäßiger Überfälle und Plünderungen
sind - ist ihnen dadurch, dass er das wichtigste Werkzeug ihrer politischen
Knechtschaft und sozialen Degradierung darstellt, zum Verhängnis geworden.
Dies ist eine lange Kette von Wundertaten und Flüchen, Schändlichkeiten
und Herausforderungen.
aus: Eduardo Galeano, Die
offenen Adern Lateinamerikas