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1637, AN DER RIO-SUCRE-MÜNDUNG

Diegujib
Vor ein paar Tagen hat Pater Thomas Gage gelernt, wie man den Alligatoren entkommt. Man muß im Zickzack vor ihnen herspringen, das bringt sie durcheinander. Sie können immer nur geradeaus laufen. Wie man den Piraten entkommt, hat ihn hingegen keiner gelehrt. Aber weiß überhaupt jemand, wie man in einer schweren Fregatte und ohne Kanonen vor zwei schnellen holländischen Schiffen flieht?
Die Fregatte ist kaum auf der Karibischen See, da zieht sie die Segel ein und ergibt sich.
So geknickt wie die Segel ist auch Pater Gage in der Seele. Er hat schließlich alles Geld bei sich, das er in zwölf Jahren Amerika zusammengekratzt hat, indem er Gotteslästerer errettete und Tote der Hölle entriß. Die Schiffe rudern herüber und hinüber. Die Piraten schaffen den Speck, das Mehl, den Honig, die Hühner und das Schmalz und die Häute fort. Auch fast vollständig das Vermögen, das der Pater in Perlen und Gold mit sich führt. Nicht alles, denn sie lassen ihm sein Bett, und in die Matratze hat er ein gut Teil seiner Habe eingenäht.
Der Piratenkapitän, ein stämmiger Mulatte, empfängt ihn in seiner Kammer. Er gibt Gage nicht die Hand, bietet ihm aber einen Stuhl und einen Becher pfeffergewürzten Rum an. Dem Geistlichen tritt kalter Schweiß auf den Nacken und rinnt ihm den Rücken hinunter. Hastig trinkt er einen Schluck. Diesen Kapitän Diego Grub kennt er vom Hörensagen. Er weiß, er kaperte früher unter dem Kommando des furchtbaren Stelzfuß und räubert jetzt auf eigene Faust mit einem holländischen Kaperbrief. Es heißt, Dieguillo tötet schon, um das Schießen nicht zu verlernen.
Der Pfarrer verlegt sich aufs Bitten; er stammelt, man habe ihm nichts als die Soutane, die er auf dem Leib trage, gelassen. Der Pirat füllt seinen Becher nach und erzählt, taub für Gages Flehen, welche Mißhandlungen er erleiden mußte, als er noch Sklave beim Gouverneur von Campeche war.
- Meine Mutter ist noch heute Sklavin in Havanna. Kennst du meine Mutter nicht? Sie ist so gut, die Ärmste, daß es peinlich ist.
- Ich bin kein Spanier, wimmert der Geistliche. - Ich bin Engländer, wiederholt er ein ums andere Mal vergeblich.
- Meine Nation ist mit der Euren nicht verfeindet. Sind Engländer und Holländer nicht gute Freunde?
- Heute gewinn ich, morgen verlier ich, sagt der Korsar. Er behält einen Schluck Rum im Mund und läßt ihn tröpfchenweise in die Gurgel rinnen.
- Sieh dir das an, befiehlt er und reißt sich den Rock vom Leib. Ein Rücken voll vernarbter Striemen kommt zum Vorschein.
Von Deck dringen Geräusche herein. Der Priester nimmt sie dankbar wahr, übertönen sie doch das Pochen seines wild schlagenden Herzens.
- Ich bin Engländer...
Auf Pater Gages Stirn zuckt verzweifelt eine Ader. Sein Speichel will die Kehle nicht hinunter.
- Nehmt mich mit nach Holland! Ich flehe Euch an, Herr, nehmt mich mit nach Holland! Ich bitte Euch! Ein großherziger Mann wie Ihr kann mich doch nicht so zurücklassen, nackt und ohne eine ...
Der Kapitän reißt seinen Arm aus den Händen des Paters, die ihn befingern. Er stampft mit dem Stock auf den Boden, und zwei Männer kommen herein.
- Raus mit ihm!
Beim Abschied steht er mit dem Rücken zu ihm.
- Wenn du über Havanna fährst, sagt er, - vergiß nicht, meine Mutter zu besuchen. Richte ihr Grüße von mir aus. Sag ihr ... Sag, mir geht's sehr gut.
Pater Gage fährt mit Magenkrämpfen zu seiner Fregatte zurück. Die Wellen gehen hoch, und der Geistliche flucht dem Mann, der ihm vor zwölf Jahren in Jerez de la Frontera sagte, Amerika sei mit Gold und Silber gepflastert und man müsse vorsichtig gehen, um nicht über die Diamanten zu stolpern.

aus: Eduardo Galeano, Erinnerung an das Feuer