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1830 wurde in Frankreich entschieden, daß es sinnvoll sei, in Algerien in Nordafrika ein Sied-lungskolonie zu gründen. Algerien lag, von der Mittelmeerküste Frankreichs gesehen, auf der anderen Seite des Wassers und Transporte zwischen beiden Ländern waren sehr viel schneller und sicherer möglich, als von den überseeischen Kolonien in Amerika oder im Pazifik.
Durch eine massive Siedlungspolitik und entsprechende Anreize für Siedler betrug die Zahl der europäischen Einwanderer nach Algerien bereits neun Jahre nach der Besetzung 25.000.
In den letzten 30 Jahren des Jahrhunderts kam mit mehr als einer Viertelmillion neuer Siedler die größte Einwanderungswelle nach Algerien.
Aber bereits 1890 lebten etwa 430.000 Europäer in Algerien, von denen etwa die Hälfte aus Frankreich stammten. Die algerischen Siedler europäischer Abstammung wurden Pieds Noir genannt - "Schwarzfüße".

1954 trat der Unabhängigkeitskampf der Algerier gegen die französische Herrschaft in eine neue Phase. Bereits 1945 war ein Aufstand der Algerier blutig niedergeschlagen worden, aber der Widerstand blieb.
Die zuerst schwache Volksbefreiungsarmee FLN gewann mehr und mehr an Zulauf und trotz eines erbitterten und grausamen Krieges mußte Präsident De Gaulle den Algeriern 1962 die Unabhängigkeit geben. Dies geschah gegen den Widerstand der Pieds Noir und des Militärs, und tatsächlich wäre es beinahe in Frankreich zu einem Staatsstreich durch Teile des in Alge-rien stationierten Militärs gekommen.
Zwar wurde im Unabhängigkeits-Vertrag von Evian zwischen der französischen und der zu-künftigen algerischen Regierung festgelegt, daß die europäischstämmigen Algerier im Land bleiben durften, aber nicht zuletzt der Terror der französischen Armee und insbesondere der Geheimorganisation OAS machte ein Leben der Siedler in Algerien unmöglich.
So verließen mehr als eine Million Menschen 1962 Algerien, die dort teilweise seit mehreren Generationen gelebt hatten. Mit ihnen flüchteten auch sehr viele Algerier, die auf Seiten Frankreichs gekämpft hatten und zu Recht den Hass ihrer Landsleute fürchteten. Für Frank-reich entstanden mit der Flucht dieser Menschen massive Probleme: zum einen gab es plötz-lich Verwaltungsangestellte, Händler und Handwerker, die in Algerien ein sicheres Einkom-men gehabt hatten, die in Frankreich buchstäblich auf der Straße standen. Es gab weder aus-reichend Arbeitsplätze noch ausreichend Wohnraum für diese Flüchtlinge. Zum anderen ka-men die Algerier nach Frankreich, die für Frankreich gearbeitet und gekämpft hatten, und die in Algerien Angst um ihr Leben hatten.
Für die französische Regierung waren die Pieds Noir, von denen teilweise schon die Großel-tern nicht mehr in Frankreich geboren waren, nicht besonders erwünscht, und noch viel weni-ger die Algerier. Von den ersten wanderten in den kommenden Jahren viele in andere afrika-nische Staaten aus, oft in solche, in denen die weiße Herrschaft noch intakt war. Viele der Algerier blieben allerdings in Frankreich und ihre Nachkommen fühlen sich dort bis heute als Menschen zweiter Klasse. Gesetzliche Benachteiligung, Rassismus, Vorurteile, hohe Arbeits-losigkeit und Armut führten in den vergangenen Jahren immer wieder zu Straßenschlachten mit Polizei und CRS (französischen Sonderkommandos).