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Längengrad
Ein wesentliches Problem
bei der Navigation auf dem Meer war, dass zwar schon seit dem Altertum recht
gut die Position eines Schiffes auf der geografischen Breite festgestellt werden
konnte, nicht aber auf der geografischen Länge. Anhand des Winkels zweier
sichtbarer Sterne zum Horizont lässt sich immer feststellen, wo sich ein
Schiff in Nord-Süd-Richtung befindet. Eine Positionsbestimmung in Ost-West-Richtung
war aber lange Zeit nicht möglich.
Dieses Problem spielte auf den Fahrten der Phönizier, Griechen oder Ägypter
im Mittelmeer kaum eine Rolle, und auch nicht, wenn Seeleute weite Strecken
an Küstenlinien entlang zurück legten.
Mit dem Fortschreiten der Eroberung anderer Kontinente wurden aber Fahrten über
das offene Meer immer wichtiger und ebenso das Wissen darum, wo sich ein Schiff
exakt befand.
Zwar konnten die Eroberer in späterer Zeit mit dem Wissen um die amerikanische
Küstenlinie einfach nach Westen fahren und sicher sein, irgendwann auf
Amerika oder bei der Rückfahrt auf Europa zu treffen. Aber schon, wenn
man eine bestimmte Inseln ansteuern wollte, konnte man nie sicher sein, ob die
Insel noch vor dem Bug des Schiffes lag, oder ob man schon daran vorbei gefahren
war. Besonders in der Karibik, in der verschiedene europäischen Mächte
Kolonien hatten, konnte man außerdem unversehens mit wertvoller Ladung
in feindliches Gebiet geraten und beschossen werden, oder sogar das Schiff verlieren.
Zudem musste für die langwierige Suche nach dem Reiseziel zusätzlicher
Proviant und Wasser mitgenommen werden, was den verfügbaren Laderaum verringerte,
der sonst mit gewinnbringenden Produkten hätte gefüllt werden können.
Das Navigationsproblem wurde so dringlich, dass das englische Parlament 1714
den "Longitude Act" verabschiedete, praktisch ein Preisausschreiben
mit einem Preis von mehreren Millionen Pfund (nach heutigen Maßstäben).
Das Geld sollte derjenige erhalten, der eine brauchbare Methode
für die Bestimmung des Längengrades entwickelte.
Lange Zeit gingen die Astronomen davon aus, dass es, wie für die Bestimmung
der geografischen Breite, auch eine astronomische Möglichkeit für
die Längenbestimmung geben müsse. Viele Astronomen versuchten sich
an der Lösung dieses Problems, aber alle komplizierten Tabellen und Almanache,
die ohnehin kaum von normalen Kapitänen und Steuerleuten verstanden wurden,
brachten kaum brauchbare Erfolge.
Schließlich ging ein englischer Uhrmacher um 1730 herum einen ganz anderen
Weg: seine Idee war, die Aufgänge vonSonne, Mond und Sternen zur Positionsbestimmung
zu benutzen. Die Auf- und Untergangszeiten konnten in der englischen Sternwarte
von Greenwich für jeden Tag des Jahres exakt bestimmt werden. Da alle Himmelskörper
durch die Rotation der Erde von Ost nach West über den Himmel ziehen, brauchten
Seeleute auf hoher See nur die Zeit des Sonnenaufganges auf der Schiffsuhr abzulesen,
und diese Zeit mit der Zeit des Sonnenaufganges in Greenwich zu vergleichen.
Aus der zeitlichen Differenz ergab sich die Strecke, die das Schiff von Greenwich
entfernt war, und damit, wo es sich in Ost-West-Richtung befand.
Zusammen mit der Bestimmung des Breitengrades konnte damit erstmals die genaue
Position eines europäischen Schiffes bestimmt werden. Und die Methode war
so simpel, dass sie auch der dümmste Steuermann verstand und anwenden konnte.
Alles, was notwendig war, war eine exakt funktionierende Uhr.
Und hier lag auch einer der Gründe, warum es einige Zeit dauerte, bis diese
Methode die Navigation revolutionierte. Denn es brauchte den Uhrmacher John
Harrison, um einen Chronometer zu bauen, der die Schwankungen des Schiffs, feuchte,
salzige Luft, Erschütterungen und extreme Temperaturunterschiede aushielt.
Dann allerdings navigierten Schiffe bis in unsere Tage nach dieser Methode.
Bis
zur Einführung des GPS-Systems, bei dem ein Rechner auf dem Schiff die
Position von drei über dem Horizont sichtbaren Satelliten misst. Trotz
des Global Positioning Systems liegt der Maßstab der Weltzeit immer noch
in Greenwich. Nach der Greenwich Meantime (GMT) errechnen sich alle anderen
Weltzeiten. Auch die der ehemaligen Kolonien.
Wie es hingegen die Völker der Inselreiche des Pazifik über Hunderte
von Jahren geschafft haben, riesige Strecken über die offene See zurückzulegen
und punktgenau ihr Ziel anzusteuern, weiß in den Industrienationen des
Nordens immer noch niemand so recht.
Nachzulesen ist diese Geschichte in "Längengrad" von Dava Sobel, Berlin 1998
Bildquelle: http://www.vereine.comcity.de/navicula/