1928, MANAGUA

Bildnis der Kolonialmacht

Die Kinder Nordamerikas lernen Erdkunde mit Landkarten, auf denen Nicaragua ein Farbfleck ist, über dem quer geschrieben steht: Protektorat der Vereinigten Staaten von Amerika.
Als die Vereinigten Staaten beschlossen, Nicaragua könne sich nicht selbständig regieren, gab es im Gebiet der Atlantikküste vierzig öffentliche Schulen. Heute sind es noch sechs. Die Schutzmacht hat keine einzige Eisenbahnlinie und keine Straße gebaut und auch keine Universität gegründet. Dagegen ist Nicaragua jetzt höher verschuldet als früher. Das besetzte Land zahlt die Kosten seiner eigenen Besatzung; und die Besatzer halten die Besatzung unter dem Vorwand aufrecht, sie müssten für das Eintreiben der Kosten Sorge tragen, die sie selbst verursachen.
Der Zoll Nicaraguas ist in der Hand der nordamerikanischen Gläubigerbanken. Die Banker haben den Nordamerikaner Clifford D. Ham als obersten Zollinspektor und -eintreiber eingesetzt. Außerdem ist Clifford D. Ham noch Korrespondent der Nachrichtenagentur United Press. Der Vizezollinspektor und -eintreiber, der Nordamerikaner Irving Lindbergh, ist Korrespondent der Nachrichtenagentur Associated Press. So heimsen Ham und Lindbergh nicht nur die Zölle Nicaraguas ein: Sie heimsen auch die Nachrichten ein. Sie sind es, die die Öffentlichkeit über die Taten Sandinos, dieses kriminellen Bandoleros und bolschewistischen Agenten unterrichten.
Ein nordamerikanischer Oberst befehligt die Armee Nicaraguas, die National Guard oder Nationalgarde, und ein nordamerikanischer Hauptmann ist Chef der nicaraguanischen Polizei.
Der nordamerikanische General Frank McCoy steht dem Nationalen Wahlausschuss vor. Vierhundertzweiunddreißig Marines leiten, von zwölf Flugzeugen der Vereinigten Staaten beschützt, die Wahlbüros. Die Nicaraguaner geben ihre Stimme ab, die Nordamerikaner bestimmen. Kaum ist er gewählt, da erklärt der neue Präsident auch schon, die Marines blieben in Nicaragua. Dieses unvergessliche Bürgerfest hat General Logan Feland organisiert, der Kommandant der Besatzungstruppen. General Feland, viel Muskeln, buschige Augenbrauen, legt die Füße auf den Schreibtisch. Über Sandino sagt er gähnend: "Dieser Vogel wird schon eines Tages fallen."


aus: Eduardo Galeano, Erinnerung an das Feuer