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Warum war es in Amerika anders? Die kurze Antwort darauf: die Krankheiten. Wie in dem Buch "Krieg der Welten" von H. G. Wells, besaß Europa biologische Waffen, die das Schicksal in Tausenden von Jahren gegen Amerika angesammelt hatte. Unter ihnen die Pocken, die Grippe, die Beulenpest, das Gelbfieber, die Cholera und die Malaria - sie alle waren vor 1492 in der westlichen Hemisphäre unbekannt. Aus irgendeinem Grund hatten 110 Krankheiten mit den Vorfahren der amerikanischen Indianer die Reise zur neuen Welt während der letzten Eiszeit nicht mitgemacht. Vielleicht erfroren sie auf dem Weg dorthin; vielleicht hatten sie sich auch noch nicht entwickelt. Was auch immer der Grund war, die Ureinwohner Amerikas hatten, da sie den Krankheiten nicht ausgesetzt gewesen waren, nur wenig oder gar keine Immunabwehr dagegen; sie bekamen die neuen Krankheiten schnell, und die Infektion war äußerst heftig. "Die Indianer sterben so leicht, dass es sie, wenn sie die Spanier nur anschauen oder riechen, dazu bringt, ihre Seele zu verlieren", schrieb ein Zeuge. Sogar heute noch können isolierte Stämme beim ersten Kontakt mit Missionaren oder Forschern von etwas dezimiert werden, das so 'geringfügig' ist, wie eine gewöhnliche Erkältung. Zwischen 1988 und 1990 verloren die Yanomami in Brasilien in nur zwei Jahren 15 Prozent ihres Volkes, hauptsächlich wegen Malaria und Grippe. (11)
Die Neue Welt hatte auch ihre eigenen Krankheiten - möglicherweise Syphilis, die erstmals 1498 in Europa auftauchte, aber es waren insgesamt nur wenige Krankheiten, und sie dezimierten nicht in gleicher Weise EuropäerInnen.
Heute ist es klar, dass die Seuchen der alten Welt mindestens die Hälfte der Azteken, Maya und Inka vernichteten und somit zu ihrem Sturz beitrugen. Der einfache Verlust der Menschen war schon verheerend (Europa schwankte während eines Jahrhunderts der schwarzen Pest, obwohl diese Seuche weit geringere Auswirkungen hatte), aber die Krankheiten wirkten zusätzlich als politische Waffe, weil sie zu einem Zeitpunkt für den Tod von Königen, Generälen und wichtigen Beratern sorgten, als diese am dringendsten gebraucht worden wären.

Der Tod wütete länger als ein Jahrhundert. 1600, nachdem sich etwa zwanzig Wellen der Pest in Amerika ausgebreitet hatten, war weniger als ein Zehntel der Ureinwohner übrig. Etwa 90 Millionen starben, was auf heutige Maßstäbe übertragen, einer Milliarde Menschen entsprechen würde. Es handelte sich um den größten Verlust an Menschenleben in der Geschichte. Sowohl jene, die besiegt worden waren, als auch die Eroberer dachten, dass Gott wirklich für die weißen Männer war.
Die Überlebenden dieser Apokalypse erinnerten sich an die Welt vor Kolumbus als ein unverseuchtes Paradies.

Aus einem Mayabuch des XVI Jahrhunderts:

Damals gab es keine Krankheit.
Damals hatten sie keinen Schmerz in ihren Knochen.
Damals hatten sie kein hohes Fieber.
Damals hatten sie keine Pocken.
Damals stand ihr Brustkorb nicht in Flammen.
Damals gab es keinen Verlust an Menschenleben.
Damals war das Leben der Menschen ruhig.
Die Fremden veränderten alles, als sie hier ankamen.(13)

nach:. 'Stolen Continents. America seen by the Indians from 1492', von Ronald Wright