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Chinarinde

Mit Chinarinde wurde eines der großen lebensbedrohenden Übel in Europa, Asien und Westafrika beseitigt: Malaria. Chinarinde öffnete dem weißen Mann die Tropen und versetzte ihn in die Lage, Weltreiche zu bauen. Nur dank des Chinins konnten Weiße in Gegenden siedeln, die bis dahin von der Krankheit besser als von irgendeiner menschlichen Unternehmung verteidigt worden waren. Als zweite große Konsequenz des Chinins konnten riesige Menschenmassen leichter als billige Arbeitskräfte in andere Gebiete verlegt werden - insgesamt wahrscheinlich über 20 Millionen. Ohne Chinarinde wären sie in ihrer neuen Heimat gestorben. Tamilen in Sri Lanka und Inder in Afrika, auf den Fidschiinseln und in der Karibik zum Beispiel stellen heute oftmals bedrängte und unruhige Minderheiten dar, manche leben 20000 Kilometer von dem Land entfernt, das ihre Vorfahren 100 Jahre zuvor verlassen mußten. Wer führt ihre Verschleppung auf Chinarinde zurück? Zum dritten lösten die Kosten und die Knappheit natürlichen Chinins eine Suche nach synthetischem Ersatz aus, aus der sich heute ein riesiges Spektrum von Industrien ableitet. Ohne die anerkannte Weltspitzenposition auf diesem Gebiet hätte Deutschland wahrscheinlich nicht in zwei Weltkriege ziehen können.

Der Import der Rinde entwickelte sich zu einem neuen Geschäft; in Lateinamerika betätigten sich die Jesuiten als Beschützer und Freunde der eingeborenen Indianer, und es waren die Jesuiten, die das Sammeln der Rinde in Peru, Bolivien und Ecuador organisierten, sie pulverisierten und zugunsten des Ordens verkauften. Um 1650 begann man die Chinarinde mit der Societas Jesu in enge Verbindung zu bringen und sie ,,Jesuitenrinde" zu nennen, wodurch diese zu einem Streitpunkt wurde. In Europa wurden die Jesuiten von den Protestanten keineswegs geliebt oder geachtet, und deren Vorurteile ließen sie zu der Ansicht neigen, dass die Medizin überhaupt nichts tauge. Einer der großen Protestanten der Geschichte starb vorzeitig, weil er dieser anti-jesuitischen Abneigung anhing; wahrscheinlich ist er das berühmteste Malariaopfer Englands. Er litt an chronischer Malaria, weigerte sich sein Leben lang, sich korrekt behandeln zu lassen, und nannte Chinin einmal das ,,Teufelspuder". Sein Name: Oliver Cromwell.

Bis 1780 wurde die einzige wirkungsvolle Rinde, die man aus Südamerika exportierte, vom peruanischen Hafen Payta aus verschifft. Es handelte sich nur um eine bestimmte Art, Cincbona officinalis, die aus der Gegend von Loxa stammte. Peruanische Rinde war teuer. Sie wurde gesammelt, nicht angebaut, und die Bäume gingen dabei zugrunde. Angeblich haben die Jesuiten darauf bestanden, dass als religiöse Verpflichtung für jeden gefällten Baum ein anderer gepflanzt werden sollte. Doch wie die Zehn Gebote wurde dieses Gesetz häufiger gebrochen als beachtet, und um 1795 bemerkte der deutsche Naturforscher Humboldt, dass allein in der Gegend von Loxa 25.000 Bäume pro Jahr verlorengingen. Diese Zerstörung natürlichen Reichtums war im Verhältnis so tiefgreifend wie heute die Vernichtung der Wale, und Humboldt sorgte sich genauso wie ein moderner Umweitschützer.

Um 1850 entschieden die Briten, dass eine gesicherte Versorgung mit Chinarinde aus den von ihnen kontrollierten Kolonien vonnöten sei und dass die Bäume auf Plantagen angepflanzt werden müssten und die Rinde nicht bloß in irgendwelchen fremden Wäldern gesammelt und dann auf unsicheren, spekulativen Wegen gehandelt werden dürfte. Allein in Indien hatte die britische Armee einen jährlichen Bedarf von wenigstens 750 Tonnen, mehr, als in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts exportiert wurde und zur Verfügung stand.
Jahr für Jahr starben in Indien zwei Millionen Erwachsen an Malaria, und wenn man deren Leben verlängern wollte, benötigte man zehnmal so viel: 7500 Tonnen. Wenn man die ökonomische Leistungsfähigkeit der 2,5 Millionen Menschen erhalten wollte, die die Malaria zwar überlebt hatten aber vom immer wiederkehrenden Fieber verkrüppelt wurden, benötigte man wenigstens noch einmal das Zehnfache. Ganz zu schweigen von Afrika mit seiner Malariarate von 60% in einigen Gebieten.

aus: Henry Hobhouse, Fünf Pflanzen verändern die Welt