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1811, AM RÍO URUGUAY

Exodus

Buenos Aires paktiert mit dem Vizekönig und zieht die Belagerungstruppen vor Montevideo ab. José Artigas weigert sich, den Waffenstillstand, der sein Land wieder den Spaniern ausliefert, einzuhalten, und schwört, er werde den Krieg fortsetzen - wenn es sein muss, auch mit Zähnen und Klauen.
Der Caudillo emigriert nach Norden zur Aufstellung eines Unabhängigkeitsheeres, und die weit zerstreute Bevölkerung sammelt sich und wird auf seiner Spur zum Volk. Zu der leichtfüßigen Kriegsschar stoßen rauhe Gauchos, Peone, Bauern und patriotisch gesonnene Estanzieros. Frauen wandern mit in den Norden, versorgen Verwundete oder greifen auch selber zur Lanze, und Pfarrer taufen den ganzen langen Weg entlang neugeborene künftige Soldaten. Menschen, die es warm hatten, schlafen unter freiem Himmel, und solche, die es still liebten, setzen sich jetzt der Gefahr aus. Schulmeister ziehen in den Norden und solche der Messerstecherei, redegewandte Juristen und maulfaule Wegelagerer mit einem Mord auf dem Gewissen. Barbiere ziehen mit, Handauflegerinnen, Deserteure von Schiffen und aus Garnisonen und entlaufene Sklaven. Indianer brennen ihre Zelte ab und sind mit Pfeil und Bogen und Wurfkugeln dabei.
Der ganze lange Tross aus Planwagen, Pferden und Fußgängern wälzt sich nach Norden. Wo er vorbeikommt, entvölkert sich vor lauter Sehnsucht nach einer Heimat das Land, das bald Uruguay heißt. Ja, das Land zieht selber mit, zusammen mit seinen Kindern. Zurück bleibt nichts. Nicht einmal Asche, nicht einmal Stille.

aus: Eduardo Galeano, Erinnerung an das Feuer