Cypern

,,Unser Unternehmen zur Übernahme Zyperns aus den Händen des Sultans in die Obhut der Königin Victoria, dieser Flaggentausch, der weder Proteste noch Widerstand hervorrief, trug klassische und komische Züge, wie der Raub einiger schöner Sterblicher durch eins dieser alten Götter- und Halbgöttergeschlechter. Ein Sack mit Sixpence-Stücken spielte in der Affäre eine Rolle - wie in so vielen nahöstlichen Geschichten. Wir haben Cypern ziemlich genau gemäß der Methode übernommen, die man aus alten Gesetzestexten als "Zwangsheirat" kennt (...)
Der Admiral (Lord John Hay) war nie zuvor in Cypern gewesen. Niemand auf dem Flaggschiff beherrschte die Sprache der Einheimischen. Kein Offizier seines Stabes hatte jemals seinen Fuß auf die Erde Cyperns gesetzt. Es gab keine geeigneten Karten, nur nachgezeichnete, die aus Ministerien ausländischer Mächte stammten, deutsche, französische, italienische Karten (...)
Nicht wusste man über die Menschen. Würden sie die Anweisungen des Admirals hinnehmen? Falls nicht: musste man sie fürchten? Wie viele Truppen lagen in den Garnisonen? Wie viele Häfen waren befestigt und wie viele Städte im Inland umwallt? Wer war der amtierende Gouverneur und wer führte das militärische Kommando? (...)
Zunächst galt es, die Insel mit Schiffen einzukreisen, um die Häfen zu kontrollieren und die Landung fremder Truppen zu verhindern (...)
Früh am Morgen lief die ,,Minotaur", das Flaggschiff, in die Bucht von Larnaca ein. Mr. Rawson, der Kapitän, begab sich an Land. Sein hervorragendes Talent, Informationen einzuholen, hatte er schon in China und Ägypten unter Beweis gestellt (...) Am nächsten Morgen ging Rawson erneut an Land und erstattete am Nachmittag dem Admiral Bericht. Die Stadtbevölkerung beschrieb er als ,,ruhig und umgänglich, sehr faul und Vergnügungen aller Art hingegeben", aber sie sei nicht ,,fanatisch", was hieß, sie würden nicht kämpfen. ,,Trunkenheit sei nicht ungewöhnlich unter den Orthodoxen", auf der anderen Seite waren ,,Raub, Mord und Banditentum nahezu unbekannt". Die Bewohner Larnacas waren ein friedliches und schwächliches Volk, unfähig zum Widerstand. Was konnte der Admiral sich besseres wünschen ? (...)

In Rawsons Report an den Admiral waren die Bewohner Nicosias, mehrheitlich ,,Türken", dagegen als ,,fanatisch" charakterisiert worden, ihrem Glauben ergeben und ihren Kalifen gehorsam. Mit anderen Worten, es waren Männer, die sich möglicherweise empören und kämpfen würden (...)

Mit wie viel Männern könnte man gegen Nicosia vorrücken ? ,,Fünfzehntausend müssten es schon sein." Es sind 27 Meilen von Larnaca nach Nicosia. Die Hitze lag bei hundert Grad Fahrenheit ( = 38 Grad Celsius) im Schatten, aber es gab nur eine Wasserstelle an der Strecke! Angenommen, der Admiral würde 15.000 Mann zusammenbekommen, wie sollte er sie - die Kavallerie, Infanterie, Belagerungskanonen, Verpflegungs- und Munitionszüge, Lazarette - durch diese brennende Wüste bringen ?
In dieser Nacht entwickelte der Admiral seinen Plan, einen raffinierten und zugleich komischen Plan. Unser Einzug in de Stadt sollte zügig, aber in einem freundlichen und zivilen Geist erfolgen - das Recht zur Besetzung als selbstverständlich vorausgesetzt und natürlich auch die freundliche Aufnahme durch alle Klassen der Bevölkerung. Dieses herzliche Willkommen galt es durch ein überzeugendes Vorgehen sicherzustellen (...)
Alle Lohnzahlungen auf der Insel waren im Verzug. Die Cyprioten waren gegenüber der Pforte im Verzug und Istanbul gegenüber allen Offizieren. Nichts ist so willkommen in den Äugen der Orientalen wie eine kleine Münze, besonders eine frisch geprägte. Der Admiral entschloss sich, Cypern mit einigen Säcken frisch geprägter Sixpence-Münzen zu betreten und die Neuigkeit auszustreuen, er würde alle ausstehenden Zahlungen begleichen. Das sollte sogleich geschehen und ohne Wachmannschaft, ein Kremser, der einzige Cyperns, sollte angemietet werden, sein Sekretär würde mitfahren und ein paar Maultiere dazu, beladen mit englischen Sixpence-Stücken (...)
Um fünf Uhr morgens startete der Admiral in seinem Kremser, der sich humpelnd und schlingernd über die Ebene quälte, den Admiral mit Staub überschüttend, der aber, das Tempo forcierend, das Gefährt über Rinnen und Furchen vorantrieb, bis die Palmen und Türme Nicosias in Sichtweite waren. Gegen elf Uhr fuhr er durch das Famagusta-Tor in Nicosia ein (...) Zur Rechten und zur Linken verbreitete sich derweil in Windeseile, dass dieser große, englische Lord, gesandt von der edlen Königin Victoria, alle Schulden begleichen würde. Jedermann, vom Zaptieh bis zum Kadi, vom Kaimakam bis zum Pascha, beeilte sich, seine Ansprüche anzumelden. Alles, was an rückständigen Zahlungen aufgelaufen war, würde bezahlt werden - in soliden englischen Sixpence-Münzen.

Es schien unglaublich, es verschlug den Männern Nicosias die Sprache. Ein Gouverneur bringt Geld in ihre Stadt ! Das Goldene Zeitalter war zurückgekehrt! Gab es auch nur einen alten Mann, dei sich an Zeiten erinnern konnte, als Paschas kamen, um zu geben, statt nur immer zu nehmen ? Natürlich nicht! Paschas hatten immer ihr Amt dünn angetreten und waren fett von dannen gezogen. Niemals zuvor hatten die Nicosianer einen Pascha erlebt, der Geld in die Stadt brachte. Der Effekt war einfach märchenhaft. Alle Augen richteten sich auf die bepackten Maultiere; alle Köpfe neigten sich vor diesem Offizier in Blau und Gold. Sogar ein ,,Fanatiker" - er wartete seit sechs Monaten vergeblich auf seinen Lohn - sah für Momente in diesem englischen Pascha seinen Mann.
Inzwischen hatte Kelly mit seiner Abteilung das Famagusta-Tor erreicht (...) Die osmanischen Soldaten rannten Ihnen entgegen und boten Kaffee an und Krüge mit Wasser. Diese feinen Burschen halfen, wo immer sie konnten. Sie entluden die Wagen und schleppten unsere Ausrüstung (...) Was dann folgte im Konak (Regierungsgebäude) war nicht mehr als eine Formsache, eine Bagatelle, eine Zigarette. Pessim gab seinen Amtssitz auf und der englische Admiral übernahm seinen Stuhl. Um fünf wurde die osmanische Flagge mit militärischen Ehren eingeholt. Kelly´s Marinesoldaten präsentierten das Gewehr und in Anwesenheit des Admirals hisste Rawson die britische Flagge. Alle Schulden der osmanischen Administration wurden geprüft, bestätigt und bezahlt. Keine Stimme erhob sich, es sei denn zu Hoch- und Hurrarufen. Victoria sprach zu ihren neuen Kindern und welcher Kaimakam oder Zaptieh hätte einer Lady widerstehen können, deren Gesandter in seine ersten Amtshandlung ihnen, den Männern Nicosias, nicht Steuern aufbürdete, sondern ihre Schulden bezahlte?

von William Hepworth Dixon 1878; aus: Buchmanuskript zur Geschichte von Zypern, von Eckart Fienen,