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Lord Horatio Herbert Kitchener (1850 - 1916)

Als im September 1878 das britische Außenministerium den bis heute umstrittenen späteren Lord Kitchener nach Nicosia beorderte, konnte der Captain der "Royal Engineers", (des "Geniecorps", wie man damals im Deutschen sagte), schon auf eine erfolgreiche Tätigkeit in Nahost zurückblicken: Als blutjunger Leutnant hatte er im Auftrag des "Palestine Exploration Fund" das westliche Palästina vermessen und seine topographische Feldarbeit in einem umfangreichen Kartenwerk niedergelegt, das in Londons Regierungskreisen viel Lob und Anerkennung fand. Kitcheners neue Aufgabe, mit der kartographischen Erschließung Zyperns zuverlässige Erkenntnisse über das neue Territorium zu gewinnen und den ahnungslosen Sachbearbeitern in den englischen Amtsstuben Zyperns ein solides Arbeitsmittel an die Hand zu geben, litt anfänglich unter Verzögerungen. Das änderte sich schlagartig, als der neue britische Hochkommissar Colonel Biddulph sein Amt antrat. Von einem Trupp "Royal Engineers" unterstützt, ging die Arbeit jetzt ohne nennenswerte Verzögerungen voran, wenn auch bestimmte Landstriche wie die südwestlichen, noch völlig unerforschten Ausläufer des Troodos-Gebirges erhebliche Probleme bereiteten und das beschwerliche Klima, der Mangel an Wegen und Straßen Kitchener und seiner Mannschaft alles abverlangten. Die Einheimischen reagierten auf das befremdliche Treiben der Engländer zumeist verständnislos. Ihre Vorbehalte gegen das Projekt entluden sich sogar in handfesten Feindseligkeiten, wie "The Cyprus Herald" am 7.2.1881 meldete: "Gestern wurde in Limassol bekannt, dass der Direktor der Landvermessung, H. H. Kitchener, nahe dem Dorfe Pissouri beschossen wurde. Er hatte sich einem Mann genähert, um einige Informationen einzuholen, als dieser sein Gewehr auf ihn richtete. Mr. Kitchener zog sich zunächst zurück, kam dann mit einem Einheimischen, der für ihn dolmetschen sollte, zurück und trat dem Mann erneut entgegen. Dieser legte wiederum auf Mr. Kitchener an und schoss schließlich auch, ohne ihn aber zu treffen. Mr. Kitcheners Begleiter lief davon, er selbst konnte den Schurken nicht greifen."
(...)
Die Arbeiten an der Zypern-Karte - sie setzte sich zusammen aus 15 Einzelblättern nebst Sonderkarten und Stadtplänen- waren Ende 1882 abgeschlossen. Rund 3500 Quadratmeilen hatte Kitcheners Team trigonometrisch vermessen und im Maßstab "one inch to the mile" von der geübten Hand des Leutnants der "Royal Engineers", S. G. Grant, in Kupfer stechen lassen. Schon bevor die Karte 1885 in London unter dem Titel "A trigonometrical Survey of the Island of Cyprus" der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ging ihr der Ruf eines außergewöhnlichen kartographischen Meisterwerks voraus, das selbst kleinste Siedlungen, Kirchen, Aquädukte, Schafshürden und unscheinbare Pfade zuverlässig verzeichnete. Diese erste, nach wissenschaftlichen Kriterien erstellte Karte Zyperns kostete stolze drei Pfund und zehn Schillinge. Generationen nachfolgender Kartenwerke orientierten sich an Kitcheners bahnbrechender Arbeit.

aus: Fienen, Eckart, Buchmanuskript zur Geschichte von Zypern,