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Harkis
In Algerien kämpften
auf der Seite der Franzosen nicht nur französischen Soldaten, sondern ab
1954 auch Algerier. Die französischen Eroberer hatten aus der Niederlage
in französisch Indochina sehr bald die Lehre gezogen, daß sich eine
Kolonie gegen den Widerstand der UreinwohnerInnen nicht halten läßt,
wenn man sich nicht auch Unterstützung bei diesen sichert.
Die ersten algerischen Einheiten wurden "Selbstverteidigungsgruppen"
genannt und sollten lokal das eigene Dorf und die umliegende Gegend gegen die
Aufständischen der Widerstandbewegung FLN verteidigen.
Ab 1956 wurde offiziell die erste reguläre Einheit der Harkis (der Name
bezieht sich auf den arabischen Begriff für Truppe) aufgestellt.
Die Algerier wurden in Harkas zusammengefaßt und erhielten Aufklärungsaufgaben,
da die algerischen Harkis einerseits das Gelände besser kannten als die
französischen Soldaten, aber sich auch eher in die Taktiken der FLN hineinversetzen
konnten.
Trotzdem die Harkis direkt an der Seite der französischen Soldaten kämpften,
waren sie praktisch Angestellte. Sie erhielten nur einmonatige Verträge
und waren auch nicht als Soldaten anerkannt. Bei Verletzungen oder Wunden erhielten
sie Schadensersatz nach der Arbeitsunfallregelung und hatten bei Invalidität
auch keinen Anspruch auf Kriegsrente.
Die Zahl der offiziell in Harkas zusammengefaßten Algerier wird für
1962 mit bis zu 70.000 geschätzt, aber insgesamt kämpften zwischen
250.000 und 300.000 AlgerierInnen gegen die Widerstandsbewegung.
Die Gründe, warum Algerier auf der Seite der Franzosen gegen ihre Landsleute
kämpften, sind sehr unterschiedlich.
Für die Algerier der Oberschicht, hohe Verwaltungsangestellte und Geschäftsleute,
hätte es im Fall eines Sieges der FLN nur Nachteile gegeben, aber auch
viele Algerier der unteren Schichten schlossen sich den Franzosen an. Von diesen
hatten einige bereits im ersten Weltkrieg, im zweiten Weltkrieg und in Indochina
als französische Soldaten gekämpft und sahen Frankreich als ihre Heimat
an, die es gegen die "Banditen" und "Rebellen" der FLN zu
verteidigen galt.
Andererseits ging das französische Militär mit Terror und Repressionen
gegen vermeintliche Rebellen vor und so war der Kampf auf Seiten Frankreichs
eine Möglichkeit, Repressionen zu vermeiden.
Allerdings ging auch die FLN grausam gegen mögliche Harkis vor:Der Besuch
eines Verwaltungsgebäudes oder auch nur das Gespräch mit einem französischen
Offizier konnte dazu führen, von der FLN gefoltert oder getötet zu
werden. Daher gingen die Franzosen oft dazu über, neutrale Algerier zu
verhaften, oder zum Verhör vorzuladen, so daß diesen kaum etwas anderes
übrigblieb, als beim französischen Militär Schutz zu suchen.
Als das Ende der französischen
Besetzung Algeriens abzusehen war, wurden viele Einheiten der Harkis entwaffnet,
teilweise unter dem Vorwand, sie mit moderneren Waffen ausrüsten zu wollen.
Da dies natürlich nicht geschah, wurden Tausende Harkis und ihre Familien
von den Widerstandskämpfern umgebracht, teilweise in direkter Nähe
der französischen Kasernen, deren Besatzung sich nicht mehr hinaustraute
oder keine Veranlassung sah, die entwaffneten Harkis zu verteidigen.
Eine sehr große Anzahl Harkis floh 1962 bei der Unabhängigkeit Algeriens
nach Frankreich.